Geschichte eines Faulenzers
CW: Depression, Suizid, Mobbing
Dieser Tage .. na gut, eigentlich ständig und zu allen Zeiten, ist ja wieder die Rede davon, dass die Menschen, die Bürger*innengeld oder andere Unterstützung aus unserem Sozialstaat bekommen faul und Abschaum seien. Versager*innen, Tunichtgute, Schmarotzer und viele andere „nette“ Bezeichnungen werden für uns gefunden.
Dass es Millionen Menschen gibt, die arbeiten und trotzdem Unterstützung brauchen, dass es viele pflegende Angehörige und Alleinerziehende trifft, das können andere besser aufbereiten – und haben das ja auch schon vielfach getan.
Ich möchte mich heute an die „Sowas kann mir nie passieren!“-Fraktion wenden und einmal meine Geschichte dazu erzählen.
#EigeneGeschichte #depression #NotJustSad #politik #gesellschaft
Vor 2016
Trotz Gewalt in der Kindheit und Jugend, Mobbing und Ausgrenzung, Depression, ADHS und vermutlich auch Autismus habe ich es geschafft mich einigermaßen durchzuboxen. Ich habe zwei Ausbildungen gemacht, 3 Jahre bei der Telekom gearbeitet und dabei sogar Millionenprojekte geplant und beaufsichtigt.
Weil die Telekom ein furchtbar schlechter Arbeitgeber war (und vermutlich noch ist) bin ich dann von dort in das Unternehmen meiner Schwiegereltern gewechselt und habe dort die Leitung des Kundendienstes übernommen. Die Arbeit hat echt Spaß gemacht, das Mobbing durch die Kollegen … nicht so.
Ich hatte im Nebenerwerb noch ein eigenes IT-Unternehmen (Webhosting, TK Anlagen, IT Service), das auch recht gut lief und über das ich etwas Geld für die schönen Dinge des Lebens eingenommen habe. Ich habe quasi 16-18 Stunden jeden Tag gearbeitet.
Ich war verheiratet und unser erstes Kind war etwas unglaublich wundervolles. Zwei Jahre später war dann das Zweite unterwegs. Zu diesem Zeitpunkt ging es mir körperlich immer schlechter. Wenn morgens der Wecker klingelte war mir richtig übel und in der Regel habe ich dann erstmal die Toilette umarmt. Manchmal war es so schlimm, dass ich nicht zur Arbeit konnte.
Dann ging der medizinische Marathon los, aber es kristallisierte sich recht schnell heraus, dass es kein körperliches Problem war. Eine schlecht gemachte Magenspiegelung hat mir dann den Rest gegeben und ich bin einfach zusammengeklappt.
2016
Dieses Jahr war geprägt vom Beginn meiner ambulanten Therapie, der Geburt unseres zweiten Kindes und allen möglichen Leuten, die meinten, ich solle einfach mal in eine Klinik gehen. Nach 6 Wochen wäre dann alles wieder in Ordnung und ich könnte wieder ganz normal arbeiten.
Ich war einfach nur am Ende und konnte mich nur vom Bett zum Rechner und wieder zurück schleppen. An Schlafen war trotzdem nicht zu denken und ich kämpfte sehr mit mir und den Schuldgefühlen, die von allen Seiten verstärkt wurden.
Dann mein erster Klinikaufenthalt. Natürlich war ich da schon im Krankengeld. Aus den 6 veranschlagten Wochen wurden 12 und es wurde auch klar, dass danach nicht wieder alles gut sein würde. Also meldete ich mein Gewerbe ab und kündigte bei meiner Schwiegermutter. Die verstand das überhaupt nicht. Das Bisschen Mobbing … da muss man doch drüber stehen!
Nach der Klinik ging es mir etwas besser und ich machte Pläne für die Zukunft. Ich suchte nach einem neuen Job und versuchte gleichzeitig wieder auf die Beine zu kommen.
2017
Ich fand einen neuen Job. Der war zwar schlecht bezahlt, aber gut hatte ich noch nie verdient. Mein Ziel war das erstmal zu nutzen und mir aus dieser Sicherheit einen neuen Job zu suchen.
Dann trennte sich meine Frau von mir und das Bisschen Boden, dass ich mir hart erarbeitet hatte wurde mir unter den Füßen weggezogen.
Den Rest des Jahres habe ich dann mit Wohnungssuche, Umzug, der Schlammschlacht der Trennung, dem Kampf um jede Minute mit meinen Kindern, meiner schweren Depression und dem ersten Suizidversuch verbracht.
Durch die Trennung waren die beiden Kredite, die wir gemeinsam abbezahlten plötzlich nicht mehr tragbar und ich hatte in meiner Verzweiflung eine neue Wohnung irgendwie einrichten zu müssen weitere Schulden gemacht.
Ich lebte also 3 Wochen im Monat von Reis. Am ersten Tag kochen, am zweiten Tag mit etwas Öl braten. Trotzdem reichte das Geld vorne und hinten nicht, um die Schulden zu zahlen. Erste Pfändungsandrohungen lagen im Briefkasten.
Dann fing mein Arbeitgeber an, das Gehalt nicht mehr voll am 1. auszuzahlen. Es wurde am 1. nur die Hälfte gezahlt und am 15. die zweite Hälfte. Der Chef wollte ja schließlich 3 Mal im Jahr mit seiner Yacht übers Mittelmeer schippern.
Bis dahin hatte ich schon verzweifelt versucht, das Bisschen Geld, das ich hatte immer auf das größte Feuer zu werfen, um es klein zu halten. Ab diesem Punkt war das überhaupt nicht mehr möglich. Und ständig flatterten weitere Dinge ins Haus, die ich bezahlen sollte. Unterhalt für die Kinder z.B. Das Jugendamt war der Meinung ich hätte ja schließlich genug Geld dafür. Rundfunkgebühren. Klar, für etwas was ich gar nicht nutze habe ich definitiv Geld übrig …
2018
Der Briefkasten war voll bis oben hin und ich hatte weder die Kraft, noch die Nerven das Ding jemals wieder zu öffnen. Jedes Klingeln an der Tür lies mich zusammenzucken und der Kühlschrank war immer noch leer.
Über den Jahreswechsel war ich wieder in der Klinik gewesen. Normalerweise hatte die eine Wartezeit von mehreren Monaten. Als die hörten und sahen in welchem Zustand ich war, haben sie mich sofort aufgenommen. Das führte dazu, dass mein Arbeitgeber sich entschied, meinen Vertrag nicht automatisch auf unbefristet zu verlängern.
Also … eigentlich hatte er sich entschieden, den Vertrag da zu beenden und schon angefangen wen neues zu suchen. Dann hatte aber ein Kollege sich für mich eingesetzt und mein Vertrag wurde dann erstmal wieder befristet verlängert. Als ich dann sagte, dass ich einen Schwerbehindertenausweis beantragt habe, war die Antwort: „Das sieht für deine Übernahme dann aber nicht gut aus!“.
Im Mai kam, was kommen musste. Bei einer Sitzung mit meiner ambulanten Therapeutin durfte ich nicht mehr nach hause gehen, sondern musste mit dem von ihr gerufenen Krankenwagen in die Psychiatrie fahren. 6 Wochen geschlossene Station, 9 Wochen offene Station. Mein Zustand bei der Entlassung, war wesentlich schlechter als bei der Aufnahme.
Mir wurde dann eine Traumatherapie in einer Klinik in der Nähe empfohlen, die ich dann auch gemacht habe. Währenddessen kam Post vom Gericht, wegen der Scheidung, die meine Exfrau eingereicht hatte und ich sollte Unterlagen und Dokumente liefern. Außerdem lief mein Krankengeld aus und mir wurde gesagt, dass ich an dem Tag dann zur Arbeitsagentur muss um ALG 1 zu beantragen. Was man mir nicht sagte war, dass man dort dann nur den Antrag ausgedruckt bekommt und wieder gehen darf. Also füllte ich alleine den Antrag aus und schickte ihn ab.
Meinen Vermieter warnte ich vor, dass ich nicht genau wisse, wie lange der Antrag brauchen würde. Am 5. des Monats drohte er mir dann mit Rauswurf, wenn das Geld nicht bis Ende der Woche eingehen würde. Die Arbeitsagentur hatte derweil den Antrag nicht bearbeitet, weil ich ein Kästchen, das auf mich nicht zutraf, nicht angekreuzt hatte. Ich fragte also bei Freunden, ob sie mir meine Miete vorstrecken könnten, damit ich nicht obdachlos würde. Wieder neue Schulden.
Ich wurde dann an meinem Geburtstag aus der Klinik entlassen, hatte weniger als 2€ in der Tasche und einen leeren Kühlschrank. Also saß ich abends in meiner Wohnung, mit knurrendem Magen, habe mir alleine Happy Birthday gesungen und mich dann in den Schlaf geweint.
2019
Anfang des Jahres bekam ich dann einen gesetzlichen Betreuer. Der sichtete Die Unterlagen und kümmerte sich dann erstmal um einige grundlegende Dinge.
Den Kampf meine Kinder sehen zu können hatte ich immer noch. Wenigstens konnte ich den Gerichtsvollzieher, der vor meiner Tür stand mit dem Hinweis auf meinen Betreuer abwimmeln.
Dann ein Brief vom Anwalt meiner Mutter, die plötzlich 5.000€ von mir haben wollte. Dann das Ende von ALG 1 und Übergang in Hartz IV. Wieder dauerte der Antrag ewig und wieder drohte mein Vermieter mit Rauswurf. Im Nachhinein stellte sich raus, dass er mir aus den Nebenkostenabrechnungen der letzten beiden Jahre (die er wohlweislich nicht geschickt hatte) noch anderthalb Monatsmieten schuldete. Dadurch konnte ich diese Katastrophe abwenden.
Dann der nächste Klinikaufenthalt. 12 Mal Elektroschocks ins Gehirn. Erfolg: Nichts.
Mein Betreuer bereitete die Privatinsolvenz vor und es wurde einigermaßen ruhig um meinen Briefkasten, weil die Post dann an den Betreuer ging.
2020
Corona und die ständig wechselnden Regeln ließen meine soziale Phobie explodieren. Ich war nicht einmal mehr fähig zur Waschmaschine im Keller zu gehen … oder zur Mülltonne.
Das Jobcenter machte Telefontermine und ich konnte immer nur sagen, dass es mir noch nicht besser geht. Bis es dann irgendwann hie0, dass Ewerbsminderungsrente beantragt werden soll.
Heute
Heute lebe ich von Erwerbsminderungsrente, muss davon Unterhalt für meine Kinder an die Unterhaltsvorschusskasse zahlen. Außerdem sind in der Insolvenz die Rückstände des Unterhalts nicht aufgelöst wurden. Die muss ich jetzt trotzdem zurück zahlen. Ca. 10 Jahre lang. Damit liege ich jetzt unterhalb des Bürger*innengeld Satzes und ich kann mir sicher sein, dass selbst wenn es eine Rentenerhöhung geben sollte, dann wird diese vom Unterhalt geschluckt. Der Freibetrag hier ändert sich nämlich nicht.
Es kann verdammt schnell gehen von „Alles ist gut und ich lebe und arbeite so vor mich hin.“ zu „Ich stehe kurz davor unter der Brücke schlafen zu müssen.“
Ich kämpfe immer noch bei jede Einkauf damit, was ich mir leisten kann und was einfach zu teuer ist. Durch den festen Freibetrag beim Unterhalt stoße ich mit dem, was ich zum Leben habe an die Decke, während gleichzeitig alles mögliche teurer wird.
Meine Nebenkosten z.B. Ich habe für 2018 noch knapp 300€ zurück bekommen. Letztes Jahr musste ich nachzahlen. Und das ohne, dass ich heize. Meine Heizung ist immer aus. Mein Durchlauferhitzer fürs Warmwasser steht auf einem Drittel seiner Leistung und ich wasche mir mit kaltem Wasser die Haare, trotzdem habe ich jedes Jahr Angst vor der Stromrechnung.
Gleichzeitig feuert die Regierung und alle anderen da draußen ein Feuerwerk auf Menschen wie mich ab, dass ich mich fühle, als wären sie nur noch einen Schritt davon entfernt, mich einfach an der nächsten Straßenlampe zu lynchen.